Im ersten einleitenden Blogpost lag der Fokus auf einer Einleitung und Gedanken zum Designbegriff, im zweiten Teil konzentriere ich mich eher auf Partizipation.
Wie messe ich Partizipation?
Im Rahmen meiner Masterarbeit wollte ich anhand eines Schemas den Grad der Partizipation in Bibliotheksprojekten vergleichen, die eine partizipative Herangehensweise versprechen. Die Erstellung eines eigenen Schemas verwarf ich nach einigen Versuchen und las mit großer Aufmerksamkeit den Libreas-Artikel von Schuldt & Mumenthaler in dem einige Modell vorgestellt und auf den Bibliotheksbereich bezogen werden. Für meine Beobachtung wählte ich das Schema der International Association for Public Participation (International Association for Public Participation, 2018). Das Schema sieht fünf Stufen der Partizipation „inform“, „consult“, „involve“ „collaborate“ und „empower“ vor und stellt diese mit einem impliziten Versprechen an die Beteiligten in Beziehung. Das Modell kann zum Self-Assessment dienen, um die Frage zu beantworten, wie partizipativ wir bereits arbeiten. Ergänzend hilft es, immer mal wieder einen Blick im Projektverlauf auf das Versprechen zu werden, das wir Nutzer*innen im Entwicklungsprozess geben.
Nachdem ich mich eingehender mit dem Schema beschäftigt hatte, nutzte ich es, um Design-Ansätze, Maßnahmen und Projekte auf der Skala zu verorten. Es gab einige ernüchternde Momente, so z.B. die Analyse des (sehr schönen) Handbuchs „Design Thinking for Libraries“ (IDEO, 2015). Beim ersten Durchblättern hatte es mir sehr gefallen, aber unter dem Aspekt der Partizipation war es wenig hilfreich (hier genauer in einem älteren Beitrag). Auch partizipative Projekte in Bibliotheken oder UXD-Ansätze, die sich partizipativ nennen, enttäuschten, sobald man genauer hinschaute oder den gesamten Projektverlauf betrachtete. So wurden Nutzer*innen – in einem Fall Studierende – in einem Projekt aufgefordert, kleine Modelle zu basteln, um die Lernraumgestaltung bedürfnisgerecht umsetzen zu können. Dies wäre auf der Skala mindestens „involve“, wenn nicht gar „empower“. Die eigentlichen Pläne waren jedoch schon so weit fortgeschritten, dass man die Workshopergebnisse nur noch dafür nutzte, um zu schauen, ob man auf dem richtigen Weg war. Aus der Sicht der Bibliothek eine schöne Imageverbesserung, da man die Nutzer*innen ja eingebunden hatte. Doch hat sich die Bibliothek gefragt, warum Studierende hierfür ihre Freizeit eingebracht hatten? Dies war der Punkt, an dem mir klar wurde, dass man für die Untersuchung auch das „decision-making“ untersuchen müsste. Wir könnten noch so partizipative Workshops veranstalten, werden die Vorteile aber zunichtemachen, wenn in einem streng hierarchisch-orientiertem Projektumfeld dann doch eine andere Instanz die Entscheidung trifft.
Mein Ansatz, den ich weiter betrachten wollt, war „Co-Design“, ein Unterbegriff von partizipativem Design. Als Ursprünge für das heutige Verständnis von Co-Design werden in der Forschungsliteratur Projekte partizipativen Designs in Skandinavien ab den 1970er Jahren genannt, in denen gemeinsam mit Beschäftigten verbesserte Arbeitsplätze entwickelt wurden (Sanders & Stappers, 2008, S. 7). Die wissenschaftliche Auseinandersetzung zur Notwendigkeit von partizipativem Design lässt sich durch eine der ersten Konferenzen 1972 in Manchester belegen (Cross & Design Research Society, 1972). In beiden Fällen wird betont, dass das Erfolgsversprechen von partizipativem Design nur eingelöst werden kann, wenn Endnutzer*innen am gesamten Design-Prozess beteiligt sind.
Wann könnte sich Co-Design eignen?
Die in der Literatur erwähnten Vorteile wandelte ich in eine Checkliste für Digital Humanities-Projekte um, anhand derer das Potential für den Einsatz von Co-Design eingeschätzt werden kann. Sie könnte als Management-Tool für Institutionen (oder DH-from Scratcher) dienen, um bereits zu einem frühen Zeitpunkt im Projektverlauf die Rahmenbedingungen für einen Co-Design-Prozess herstellen zu können. Die Liste wurde anhand von Digital Humanities Projekten im Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel und der Bibliotheca Hertziana getestet. Hierfür führte ich Interviews mit Projektbeteiligten über Schwierigkeiten in abgeschlossenen DH-Projekten durch. Wenn die Gesprächspartner*innen auf Problemfelder (z.B. Kommunikation) kamen, bat ich sie, das Problem genauer zu beschreiben und verglich dies mit meinen Ergebnissen aus der Literaturrecherche zu Co-Design. Erstaunlich häufig wurden ähnliche Problemfelder benannt. Die Checkliste umfasst folgende Bereiche:
Checkliste:
Problemfeld | Problem | Kann Co-Design helfen? |
Daten über Anforderungen | “Ich weiß nicht, was die Forscher*innen brauchen.” | Das starke Einbeziehen der Nutzer*innen kann dazu beitragen, passgerechtere Lösungen zu entwickeln (Visser et al., 2005, p. 119) |
Kommunikation | “Ich verstehe die Anforderungen nicht.” | Interdisciplinary teams in particular can benefit from this strategy, as different communication cultures of the disciplines can be brought together (Calabretta et al., 2016, p. 46). |
Zeitdruck | “Ich muss sehr früh erste Ergebnisse vorzeigen.” | Durch die Einbeziehung der Nutzer*innen kann die Zeit zur Erstellung eines neuen Releases reduziert werden (Alam, 2002, p. 254) |
Innovationsdruck | “Es gibt bisher keine Lösung.” | User als “Expert*innen ihrer eigenen Erfahrungen” generieren eine höhere Anzahl von Ideen mit einem höherem Innovationspotential (Kristensson et al., 2002). |
Legitimität | “Ich habe Angebote erstellt. Sie werden nicht angenommen” | Wenn die Nutzer in den gesamten Entwurfsprozess eingebunden sind, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie die Dienstleistung oder das Produkt tatsächlich nutzen, auch wenn dies eine Veränderung im Alltag bedeutet (Woods et al., 2017, p. 97). |
Gibt es Grenzen von Co-Design (und anderen partizipativen Design-Ansätzen)?
Eine der Grenzen sehe ich in der Skalierbarkeit. In den Digital Humanities ist es bei spezialisierten Anwendungen möglich, alle Beteiligten in einem Raum zu versammeln, um den Design Task gemeinsam anzugehen. Die Aufgabe könnte z.B. sein: Wie schaffen wir es, spartenübergreifend Daten zu unserem Thema zu sammeln, zu annotieren und bereitzustellen? Die Aufgabe und der Nutzer*innenkreis ist gut abzugrenzen, es geht hier nicht um allgemeine Webangebote, sondern eine konkrete Anwendung.
Wenn mein Design Task jedoch darin besteht, den klassischen OPAC abzulösen, kann ich nicht alle Nutzer*innen an einen Tisch setzen. Hier müsste ich eine Auswahl treffen, die dann Entscheidungen für die Zielgruppen trifft. Bereits die Auswahl dieser Personen wird den Projektverlauf beeinflussen. Das bedeutet nicht, dass von einer partizipativen Herangehensweise abgesehen werden sollte. Man sollte diesen Aspekt jedoch im Hinterkopf haben.
Ein Problem in partizipativen Projekten kann ich nur schwer beschreiben. Nachdem ich mir viele Projekte aus den Bereichen der Entwicklungshilfe, der Medizin oder der Stadtplanung angesehen habe, fragte ich mich, wie man mit folgendem Unterschied umgehen sollte:
Einige im Raum werden gerade dafür bezahlt, einen Service, ein Tool, einen Bebauungsplan oder eine Impfkampagne zu entwickeln. Andere nicht. Oder erhalten eine Aufwandsentschädigung. Oder das Versprechen, eine passende Lösung zu erhalten. Wenn wir den Gedanken ernstnehmen, dass jede*r von uns ein*e Expert*in im Team ist, müssen wir uns vielleicht genau diese unangenehme Frage der unterschiedlichen Ent-/Belohnung stellen. Eine Lösung habe ich nicht parat. Ich würde mich jedoch freuen, wenn wir dies auch im Hinterkopf behalten. (Dies betrifft auch andere eigentlich lobenswerte Bereiche der Mitbestimmung. In einer Studienkommissionen sitzen immer Teilnehmer*innen, die gerade ihre Freizeit einbringen.)
Im nächsten Blogbeitrag werde ich auf ein mögliches Framework für einen Co-Design-Projekt eingehen und eine Übersicht der Maßnahmen beginnen.
Alam, I. (2002). An exploratory investigation of user involvement in new service development. Journal of the Academy of Marketing Science, 30(3), 250. https://doi.org/10.1177/0092070302303006
Calabretta, G., Gemser, G., & Karpen, I. (2016). Strategic design: Eight essential practices every strategic designer must master. BIS.
Cross, N., & Design Research Society (Eds.). (1972). Design participation: Proceedings of the Design Research Society’s conference, Manchester, September 1971. Academy Editions.
IDEO. (2015). Design Thinking for Libraries ; a toolkit for patron-centered design. IDEO. http://gateway-bayern.de/BV044800052
International Association for Public Participation. (2018). IAP2 Spectrum of Public Participation. https://cdn.ymaws.com/www.iap2.org/resource/resmgr/pillars/Spectrum_8.5x11_Print.pdf
Kristensson, P., Magnusson, P. R., & Matthing, J. (2002). Users as a Hidden Resource for Creativity: Findings from an Experimental Study on User Involvement. Creativity and Innovation Management, 11(1), 55–61. https://doi.org/10.1111/1467-8691.00236
Sanders, E. B.-N., & Stappers, P. J. (2008). Co-creation and the new landscapes of design. CoDesign, 4(1), 5–18. https://doi.org/10.1080/15710880701875068
Schuldt, K., & Mumenthaler, R. (2017). Partizipation in Bibliotheken. Ein Experiment, eine Collage. https://doi.org/10.18452/19106
Visser, F. S., Stappers, P. J., van der Lugt, R., & Sanders, E. B.-N. (2005). Contextmapping: Experiences from practice. CoDesign, 1(2), 119–149. https://doi.org/10.1080/15710880500135987
Woods, L., Cummings, E., Duff, J., & Walker, K. (2017). Design Thinking for mHealth Application Co-Design to support Heart Failure Self-Management. In Context Sensitive Health Informatics: Redesigning Healthcare Work. IOS Press.
Abbildungen:
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